Montag, 14. September 2015

Lesen und lesen lassen

Zurzeit lebe ich in einem Ort unten an der südfranzösischen Küste. Jeden Morgen gehe ich im Meer schwimmen und lasse mich von Wasser und Wellen treiben. Das habe ich den ganzen Sommer über so gemacht, seit ich hier angekommen bin. 

Bis vor Kurzem habe ich in Paris gelebt, in 27 Rue Montagnard. Ich bin Buchhändler. Die Bezeichnung "literarischer Apotheker" trifft es allerdings besser. Denn ich "verschreibe" den Menschen, die zu mir kommen, das passende Buch zu ihrer Situation: Hat jemand Liebeskummer, eine berufliche Sinnkrise oder große Fragen an sich und seine Existenz?

Ich bin überzeugt: Für alles wurde schon das Richtige niedergeschrieben - von Orwell und Wilde oder von Ringelnatz und Kästner zum Beispiel. Mein Laden, die Barke "Lulu", lag lange angetäut am Ufer der Seine. Doch eines Tages, als mich meine Vergangenheit eingeholt hat, habe ich die Seile einfach gelöst und bin mit ihr, meinem Nachbarn - dem Schriftsteller Max - und meinen zwei Katzen Lindgren und Kafka quer durch Frankreich gefahren. Nicht um weiter wegzulaufen, sondern um meinen Frieden zu finden. Und das habe ich.


Zurzeit bin ich Jean Perdu, die Hauptfigur des "LITTLE PARIS BOOKSHOP", des Buches, das ich gerade lese. Ich bin ihm – auf meinem Balkon in der Sonne sitzend - durch Frankreich gefolgt, habe seinen Kummer geteilt und miterlebt, wie er neuen Lebensmut gefasst hat. Ich habe die vielen klugen Sätze in mich aufgenommen, die dieses Buch enthält – über das Leben, das Lesen, das Lieben und das Leiden beziehungsweise darüber, wie man es überwinden kann.

Jeans Geschichte ist eine Geschichte, wie ich sie mag. Eine Geschichte, die mich mitnimmt in eine andere Welt. Und eine, aus der ich lernen kann. Genauso, als hätte ich Jean Perdu auf der „Lulu“ um einen Buchtipp gebeten und er hätte zielgenau exakt dieses Buch für mich aus dem Regal gezogen.
… Perdu reflected that it was a common misconception that booksellers looked after books. They look after people ...
- The Little Paris Bookshop -  
Geschichten haben mich von Klein auf fasziniert. Ich konnte meiner Oma stundenlang zuhören, wenn sie mir aus "BAMBI", dem "ROSEN-RESLI", "TANNENWALDS KINDERSTÜBCHEN" oder "GRIMMS MÄRCHEN" vorgelesen hat. Als ich endlich selber lesen konnte, bin ich "RONJA RÄUBERTOCHTER" auf ihren Streifzügen durch die schwedischen Wälder gefolgt, habe als einer von "EMIL UND DIE DETEKTIVE" das Berlin der Zwanziger Jahre nach dem gemeinen Gelddieb durchkämmt, war mit "HANNI UND NANNI" und ihren Freundinnen in England im Internat, habe mit Bastian und Atreju in der "UNENDLICHEN GESCHICHTE" versucht, Fantasien - das Reich der Kindlichen Kaiserin - vor dem Nichts zu bewahren oder wollte zusammen mit "MOMO" die Welt vor den Zeitdieben retten.

Ich habe, glaube ich, nie wieder so intensiv gelesen, wie als Mädchen – sonntags morgens unter der warmen Decke mit ein paar Schokobonbons, die mir die Zähne verklebt haben, jeden Abend mindestens eine halbe Stunde vorm Einschlafen, in meinem Lieblings-Ohrensessel im Wohnzimmer meiner Eltern, im Urlaub an Badesee oder Nordseestrand und an jedem anderen möglichen Ort. Ich bin damals ganz eingetaucht in die Welt der Bücher und konnte beim Lesen alles um mich herum vergessen.
… Some novels ar loving, lifelong companions; some give you a clip around the ear; others are friends who wrap you in warm towels when you´ve got those autumn blues. And some... well, some are pink candy floss that tingles in your brain for three seconds and leaves a blissful void like a short, torrid love affair …
- The Little Paris Bookshop -  
Auch heute noch liebe ich Bücher, sind sie meine ständigen Begleiter: Ich gehe so gut wie nie ohne ein solches Packerl bedruckten Papiers aus dem Haus. Ich habe immer eines in der Tasche – für die U-Bahn, zur Stau-Überbrückung und für jede andere freie Leseminute, die sich erwartet oder unerwartet ergeben kann: fürs Wartezimmer genauso wie für das Schmökern im Café. Ich lese in der Badewanne oder im Liegestuhl, auf einer Bank im Park - und natürlich nach wie vor eingekuschelt auf dem Sofa oder ganz gemütlich im Bett.


Lesen ist aber nicht nur mir persönlich wichtig. Es ist auch (oder gerade!) im digitalen Zeitalter eine der wichtigsten Schlüsselkompetenzen jedes Menschen. Abgesehen von ganz viel Liebe kann man Kindern also kaum etwas Besseres mit auf den Lebensweg geben als einen Stapel Bücher und die Leidenschaft fürs Lesen. Deshalb bemühe ich mich - in bescheidenem Rahmen -, die Kinder, derer ich habhaft werden kann, für Gedrucktes und Geschriebenes zu begeistern. Ich missioniere aber nicht, ich lese - und lese vor.

Dabei kann Wunderschönes passieren. Ich denke dabei besonders an einen Sommer auf Mallorca. Dafür muss ich ein bisschen ausholen. Aber alle, die mir bis hierher gefolgt sind, sind – unterstelle ich mal – ohnehin "Leseratten" und haben wahrscheinlich nichts gegen einen kleinen Exkurs?! :)
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Fünf Jahre lang habe ich meine Sommer in einem kleinen Dorf im Inselinnern – seeehr weit weg vom Ballermann – verbracht. Im Haus der Mutter meines Ex-Freundes kam von Juli bis September stets großer Teil der nicht minder großen Familie zusammen. Das war – turbulent.

Mein zweiter Sommer dort war der schönste und unvergesslichste: Die kinderlosen Onkel (und die dazugehörigen nicht-angeheirateten Tanten, also ich) wurden „engagiert“, die Eltern während der Ferien für eine Weile zu entlasten und sich um die dort versammelten sechs Nichten und Neffen (damals zwischen vier und vierzehn) zu kümmern. Vor Urlaubsbeginn habe ich für jede und jeden ein Buch besorgt, auf gut Glück. Weder wusste ich von allen, ob sie lesen noch ob sie genau das gern lesen würden. Dennoch: Von mir gab es Geschichten als „Begrüßungsgeschenk“ und alle bedankten sich artig - immerhin.

Um die von unseren Wanderungen, Schnorchelausflügen und Grill-Gelagen (bei der Familie handelt es sich immerhin um Voll-, Halb-, Dreiviertel- und Viertelargentinier) aufgekratzte Rasselbande vor der angestrebten Nachtruhe etwas „runterzukühlen“, habe ich am zweiten Abend angefangen, ihnen aus einem Buch ihrer Wahl vorzulesen. Die Mitbringsel entpuppten sich als Glücksgriff. Aus dem so entstandenen kleinen Büchersortiment suchten sich „meine Kinder“ einen Krimi aus: 
„DER JUNGE, DER SICH IN LUFT AUFLÖSTE“.

Ich las also, und alle um mich herum waren mucksmäuschenstill. Seite um Seite – nichs. Keine Reaktion, keiner rührte sich. Keiner fragte, ob er mal aufstehen dürfe, weil er Durst hatte oder mal auf die Toilette musste. Das war – ungewöhnlich und irritierte mich deshalb ein wenig. Ich fragte mich, ob sie alle eingeschlafen seien, ob sie sich langweilten. Waren sie einfach zu gut erzogen, um mich zu unterbrechen und saßen sie die ihnen aufgedrückte Lesestunde einfach stumm aus?

Kapitel Eins war schließlich zu Ende: Ein Junge war aus dem London Eye, dem Riesenrad am Rande der Themse, verschwunden. Sein Freund blieb hilf- und ratlos zurück und fragte sich, wie er den Jungen bloß hatte aus den Augen verlieren können. Er würde sich auf den kommenden Seiten nun sicher auf die Suche nach ihm machen. Aber würde das die kleine, um mich versammelte Rasselbande überhaupt interessieren?

Ich erwartete eigentlich, alle würden jetzt schnell aufspringen und rasch das Weite suchen. Das Schweigen war mir Spanisch vorgekommen: Wann sind Kinder schon mal so still? Ich schaute von den Seiten hoch. Das hatte ich während des Lesens gar nicht erst nicht gewagt. Ich war überrascht: Die Kinder waren nicht eingeschlafen. Im Gegenteil. Sie waren hellwach. Sie rührten sich dennoch nicht. Waren sie vor Langeweile wie gelähmt? Ich wollte sie erlösen und machte Anstalten, das Buch beiseite zu legen. Es kam Protest und der Wunsch: „Bitte, lies weiter!“, „Noch ein Kapitel!“

Ich habe mich unglaublich gefreut. Jeden Abend suchten wir nun weiter nach dem verschwundenen Jungen aus dem Riesenrad. War er entführt worden? Von wem? War er weggelaufen? Warum? Das beschäftigte uns...

Am Tag vor meiner Abreise waren noch rund 100 Seiten offen. Wir waren dem Geheimnis ein gutes Stück näher gekommen, tappten aber irgendwie noch immer im Dunkeln. Und obwohl sie auch allein hätten weiterlesen können, bestanden alle darauf, dass ich ihnen das Ende selbst vorlesen sollte: Strand – hat heute Pause. Pool – nicht interessant momentan. Die weltbesten sechs nicht-leiblichen Nichten und Neffen und ich zogen uns einen Tag lang zurück, und lasen und lauschten und lasen und lauschten, bis der Junge endlich wieder auftauchte. Meine Lieben, danke fürs Zuhören und diese schöne Vorleseerinnerung!
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Übrigens: Jedes Buch zählt! Wenn wir auflisten, was wir im Laufe unseres Lebens gelesen haben, kann das viel über uns verraten:

 „Sag mir, was du liest, und ich sage dir, wer du bist!“

Diese Erkenntnis verdanke ich meiner Lieblingsdozentin an der Universität Lüneburg. Sie ist Spezialistin für Lesesozialisation – und hat sich viel damit beschäftigt, wie man Jungs (oft notorische Nicht- oder Wenigleser), an die Bücher bringen kann: Boys and books.

Eigentlich hat sie damals angehende Grundschullehrer(innen) unterrichtet, aber ab und zu auch in meinem Fachbereich – den Angewandten Kulturwissenschaften – Seminare gegeben. Es waren die spannendsten und kreativsten auf meinem Stundenplan: Es ging um „Phantastische Kinder- und Jugendliteratur“, um das „Fräuleinwunder im deutschen Literaturbetrieb“, um „Harry Potter“ und um die „Schlüsselkompetenz Lesen“.

Wer als werdender Lehrer bei ihr studierte, musste zunächst eine Lesebiografie einreichen. In unserem Schlüsselkompetenz-Seminar haben wir zwei, drei anonymisierte Beispiele analysiert - und konnten uns hernach tatsächlich ein ganz gutes Bild von der Person hinter der Bücherliste machen...

Ihr könnt ja gleich weiter unten mal schauen, was Euch meine Top-Five-Listen verschiedener Buchgenre womöglich über mich verraten...

Vorher meine Quintessenz: Lesen ist wichtig und Bücher können helfen. Perdus Philosophie von der literarischen Apotheke ist jedenfalls kein fiktionaler Quatsch. Es gibt sogar einen Forschungszweig, der sich genau mit diesem Thema befasst. Lesenswert in diesem Zusammenhang unter anderem: "Die Romantherapie".

Lesen lehrt, Lesen kann heilen und Lesen nimmt uns mit – fast wörtlich. Denn beim Lesen passiert Spannendes im Gehirn: Wissenschaftler haben lesende Menschen und ihre Hirnaktivitäten mithilfe der Magnetresonanztomografie beobachtet. Es hat sich gezeigt, dass das Gehirn die „Bewegungen“ im Buch mitmacht: Ändert die Figur zum Beispiel ihren Aufenthaltsort, ist eine erhöhte Aktivität in genau den Hirnregionen festgestellt worden, die für räumliche Orientierung und Wahrnehmung verantwortlich sind.

Faszinierend, oder? 
Also: An die Bücher – fertig - los!


My all time favourite
  • Desirée – Annemarie Selinko
Das „Tagebuch“ der ersten Verlobten Napoleons, die später schwedische Königin wurde; behandelt Aufstieg und Fall des französischen Kaisers sowie die Zeit während und nach der französischen Revolution.

Schmöker
  • Die Morgengabe – Eva Ibbotson
  • Der Schatten des Windes – Carlos Ruiz Zafón
  • Die Bücherdiebin – Markus Zusak
  • Der Medicus – Noah Gordon
  • Die Dornenvögel – Colleen McCollough
Literarische(re)s
  • Schlafes Bruder – Robert Schneider
  • Jeder stirbt für sich allein – Hans Fallada
  • Schloss Gripsholm – Kurt Tucholsky
  • Schachnovelle – Stefan Zweig
  • Das kunstseidene Mädchen – Irmgard Keun
Thrill/Spannung
  • Die Einkreisung – Caleb Carr
  • Im Eishaus – Minette Walters
  • Der Puppengräber – Petra Hammesfahr
  • Illuminati – Dan Brown
  • Das Parfüm – Patrick Süsskind
Außer Konkurrenz
  • Mord im Orient-Express – Agatha Christie
English novels
  • The Shell Seekers – Rosamunde Pilcher (Kein allgemeiner Aufschrei jetzt, bitte: Das ist eine wirklich bezaubernde Geschichte, vor allem auf Englisch gelesen!)
  • Pride and Prejudice – Jane Austen
  • Pillars of the Earth – Ken Follett
  • The Guernsey Literary and Potato Peel Pie Society – Mary Ann Shaffer
  • The Rosie Project – Graeme Simsion
Sachbuch
  • Blink – Die Macht des Moments – Malcolm Gladwell
  • Psychopathen: Was man von Heiligen, Anwälten und Serienmördern lernen kann – Kevin Dutton
  • Evas Erwachen – Alice Miller
  • Am Anfang war Erziehung – Alice Miller
  • Die Liebe - und wie sich Leidenschaft erklärt – Bas Kast
Kinder und Jugend - „Klassiker“ aus meiner Kinderzeit
  • Die Brüder Löwenherz (stellvertretend für fast alle Lindgrens) – Astrid Lindgren
  • Das doppelte Lottchen – Erich Kästner
  • Emil und die Detektive – Erich Kästner
  • Die unendliche Geschichte – Michael Ende
  • Momo - Michael Ende
Kinder und Jugend – neu(er)
  • Harry Potter (speziell „The order of the Phoenix“) – Joanne K. Rowling
  • Der Junge im gestreiften Pyjama – John Boyne
  • Der Junge, der sich in Luft auflöste – Siobhan Dowd
  • Die Wahrheit, wie Delly sie sieht – Katherine Hannigan
  • Tintenherz – Cornelia Funke

Kochkompetenz-Training

Charlotte ist „schuld“ - im besten aller Sinne. Von ihr kam nämlich der entscheidende Hinweis, der mir nach und nach das Kochen schmackhaft gemacht hat. 

Wir saßen im Frühjahr beim Klönschnack zusammen, sprachen über dies und das – und irgendwann fragte sie schließlich: „Du, ich lese ja deinen Blog. Stimmt es, dass das Kochen für Dich so ein Problem ist?" Ich musste leider bejahen: Es sei genau so, wie ich es in Cooking beschrieben hätte. 

Ich würde wirklich nicht so wahnsinnig gern kochen, schon gar nicht für mich allein. Außerdem ginge ich unter der Woche ja meistens mit Kollegen mittags essen. Da bliebe abends zuhause meist die Küche kalt.

Oft gehe leider auch was schief, mir fehle die Routine - ganz zu schweigen von der Muße zum Einkaufen oder der Lust, alles vier Stockwerke in meine Wohnung empor zu schleppen. Denn ich sei leider ein eher bequemer Mensch. Summa summarum würde mich das Kochen während einer Arbeitswoche eher stressen, bekannte ich.

Umso frustrierender, weil ich seit langem den Vorsatz hätte, mich besser zu ernähren, mir selbst mehr Gutes zu tun und mir wünschte, Gäste angemessen bewirten zu können. Charlotte wusste Rat. Sie hatte zumindest einen Vorschlag:

„Kennst du HelloFresh? Versuch es doch mal mit der Kochbox.“



Sie und ihr Mann bezögen das Paket auch seit einiger Zeit. Sie zauberte ein paar Rezeptkarten hervor – und ich war zumindest neugierig geworden: Die Gerichte wirkten abwechslungsreich – und klangen ausnehmend lecker. Zudem ist der Kochbox-Kunde flexibel: Man kann – zum Beispiel während des Urlaubs - pausieren oder auch mal zwischen der vegetarischen und der fleischhaltigen Box wechseln. Es gibt die Kochkartons mit drei oder fünf Gerichten für je zwei Personen. Ein Dreier-Pack würde für mich eine Woche reichen, überschlug ich schnell. 

Auch mein innerer Schweinehund freute sich: Alles wird geliefert - kein Geschleppe mehr. Das Ganze ist außerdem nicht unbedingt teurer als ein normaler Wocheneinkauf im Supermarkt. Die Produkte sind noch dazu möglichst Bio und saisonal.

In der Küche braucht man selbst nur eine gewisse Grundausstattung: Butter, Brühe, Olivenöl oder Ähnliches. Gekocht wird querbeet – italienisch, orientalisch, asiatisch. Alles sehr abwechslungsreich und ausgewogen – nach den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung.

Probieren könnte ich es ja mal, beschloss ich deshalb.

Und Charlottes Empfehlung vertraute ich voll: Sie ist Wissenschaftlerin, die Lebensmitteltests durchführt und sich deshalb allerbestens mit Ernährungsfragen auskennt. Wenn sie selbst zur Kochbox greift, konnte es sich eigentlich nur um eine gute Idee handeln.

Ich orderte also noch am selben Abend mein erstes HelloFresh-Paket, das etwa eine Woche darauf eintraf: Der Postbote brachte es an einem Mittwoch abend frisch vorbei – und ich packte den Karton aus wie ein Kind seine Weihnachtsgeschenke.



In einer Kühltasche fand ich Frischkäse, Rind- und Putenfleisch, im Karton selbst lagen Kräuter und verschiedenstes Gemüse - und dann gab es noch ein Extra-Tütchen für „Die kleinen Dinge“ wie Gewürze. Alles liegt in genau der Menge bei, in der es gebraucht wird – ich würde also für die Reisnudelpfanne mit Erdnussbutter, die in dieser Woche auf der Speisekarte stand, nicht gleich auf einem ganzen Glas davon sitzen bleiben, ohne zu wissen, was damit weiterhin anzufangen sei. Das würde auch weniger Abfall produzieren – das nahm mich ebenfalls für den Online-Kochservice ein.

Ich verstaute die Lebensmittel in Kühlschrank und Küche - und war schon gespannt auf den kommenden Abend. Da würde ich mich zum Auftakt meines Kochkompetenztrainings an das „Cremig-gefüllte Panko-Putenschnitzel“ wagen. 

Ich musste mich als Küchenlaiin natürlich zunächst fragen, was denn „Panko“ eigentlich sei. Davon hatte ich noch nie gehört. Ich las auf den beigefügten Karten nach: Die enthalten nicht nur die Zutatenliste und die Anleitung wie aus Fleisch, Gemüse und Kräutern eine schmackhafte Mahlzeit wird, sondern auch viel Wissenswertes rund um das Thema Ernährung sowie ein paar Küchentricks. 

Panko, stellte sich bei der Lektüre heraus, sei ein aus Japan stammendes Paniermehl. Damit würde das Putenfleisch eine knusprig-lockere Kruste bekommen.„Hoffentlich!“, betete ich – eingedenk meiner diversen Koch-Blamagen. Aber alles ging gut. Ich brauchte zwar mehr als die angegebenen 35 Minuten zur Zubereitung, hauptsächlich weil das „Schnippeln“ mir noch ziemlich langsam von der Hand geht, aber am Ende landete eine wirklich leckere Mahlzeit auf meinem Teller.



Ich wäre aber nicht ich, wenn es nach der gelungenen Premiere nicht doch die ein oder andere Küchenpanne gegeben hätte. Es waren aber nur wenige – eine folgte am übernächsten Tag, als ich mich mutig an Thai-Street-Food heranwagte.

Ich kümmerte mich, genau der Anleitung folgend, um Schweinefleisch und Steinpilze, Zucchini und Zwiebeln. Aus Chili, Knoblauch, Erdnussbutter und Sojasosse mixte ich die Marinade – und kam dann zu Punkt Vier auf der Liste: „Reisnudeln in einem Topf nach Packungsanleitung zubereiten.“ So weit, so gut. 

Ich muss nicht erwähnen, dass ich bis dato noch nie Reisbandnudeln gekocht hatte, oder? Deshalb waren mir die näheren Umstände der Zubereitung dieser fernöstlichen Speise auch völlig unbekannt. Ein Blick auf das Päckchen ließ meinen sehr hungrigen Magen vor Erschrecken aufknurren: 

„Soak the noodles in warm or in cold water for 30 – 45 minutes before preparing.“

Diese kleine Info hätte ich gern eine dreiviertel Stunde früher gehabt. Es half ja nichts: Ich weichte ein – und wartete und wartete… Schließlich war das Essen nicht nur fertig, sondern auch lecker.

Ich zog meine Lehre daraus: Erst das Rezept gründlich lesen, dann alle Zutaten bereit legen – und dann erst ran an Pfannen und Töpfe. Dieses „Vorspiel“ ist mir inzwischen übrigens zum lieben Ritual geworden. Genauso wie ich mittlerweile die Aromen geradezu genieße, die beim „Mis en place“ oder beim Zubereiten entstehen. Ich liebe zum Beispiel den Duft von knusprig frittiertem Salbei... Aber soweit sind wir erzählerisch noch gar nicht.



Nach meiner Probewoche war ich fest entschlossen, weiter zu machen. Ich investierte sogar - endlich – in ein richtig scharfes Kochmesser. Ich hatte dem Werkzeug beim Kochen bisher - zum Entsetzen so manches kochbewanderten Freundes - nie viel Beachtung geschenkt und meine Messer auch recht stiefmütterlich behandelt – ja, ich habe sie sogar in die Spülmaschine getan! Shame on me. 

Das kommt jetzt sicher nicht mehr vor: Das neue Santoku wird stets liebevoll von Hand gespült, damit es nicht vorschnell stumpf wird. Das wäre fatal, erlebe ich es während meiner Kochsessions doch immer wieder aufs Neue, wie unnötig ich mich bislang immer mit meinen nicht sehr schnittigen Messermodellen gequält habe und wie schnell und mühelos das Schneiden jetzt klappt.

Im Laufe der letzten Kochwochen hat sich aber nicht nur meine Haltung zur Essenszubereitung und dem dazu notwendigen Equipment verändert, ich esse auch anders: bewusster und genussvoller. Ich decke mir den Tisch schön ein, nehme mir mehr Zeit zum Essen, trinke etwas Leckeres dazu und zelebriere meine Mahlzeiten - selbst wenn ich allein am Tisch sitze - als sei jede ein Fest. 

Einen Quantensprung in Richtung Meisterköchin habe ich zwar bestimmt immer noch nicht gemacht, aber die Hemmschwelle ist weg: Kochen ist kein Angang mehr, sondern etwas, worauf ich mich freue! Ja, wirklich!

Welcher Wandel sich da über Wochen vollzogen hat, wurde mir aber eigentlich erst klar, als ich für mein Geburtstagspicknick mit Vergnügen Rezepte wälzte (Verzeihung, HelloFresh, aber ich habe mal fremdgekocht) und überlegte: Was möchte ich meinen Gästen Leckeres servieren? 



Das Menü meiner Wahl:
  • Persische Lammhackfrikadellen mit Joghurt-Minz-Soße
  • Mariniertes Putenfleisch mit Mango-Pfefferbeeren-Soße
  • Ofenkarotten
  • Triple-Choc-Schokoladenpudding
  • Brownies
  • Eistee

Ich stand zwei Tage – bei glühender Augusthitze und offener Balkontür - in meiner Küche. Am Ende war ich total erschöpft, aber unendlich glücklich. Ein solch herzliches Verhältnis hat es zwischen mir und meiner Küche noch nie gegeben - hab´ vielen Dank, Charlotte!

Meine Top 5-HelloFresh-Gerichte:
  1. Paniertes-Panko-Putenschnitzel
  2. Scharfe Rigatoni-Pflaumen-Pfanne
  3. Zucchini-Fettucine-Pfanne mit Salbei-Zitronen-Soße
  4. Indisches Tandoori-Hähnchen mit Koriander-Reis
  5. Arabisch mariniertes Rinderhüftsteak mit Ofen-Karottensticks
Bonus-Track: 
  • Porree-Schmand-Flammkuchen mit Rucola-Apfel-Salat
P.S.: 

Es gibt übrigens noch eine zweite Person, die mich kochkünstlerisch in den vergangenen Jahren sehr beeindruckt und beeinflusst hat. Auch ihr sei an dieser Stelle in aller Anonymität gedankt...

J - A 2015

Manche lesen ihr Horoskop, andere konsultieren Kartenleger. Früher hielten Herrscher sich sogar Hofastronomen, die für sie einen Blick in die Sterne wagen sollten und ihnen so die Zukunft geweissagt haben.

Auch ich wüsste manchmal zu gern, was das Morgen mir bringt, oder suche Rat, wie ich mich in kniffligen Situationen entscheiden soll. Ein guter Wegweiser wäre vielleicht das Bauchgefühl, die eigene Intuition. Aber - fragt mich nicht, warum - ich habe Schwierigkeiten, ihr zu vertrauen. Dabei brauche ich ein bisschen "Unterstützung".

Ins Horoskop werfe ich allerdings nur circa einmal im Jahr einen Blick - immer so rund um Silvester. Das ist eigentlich unnütz, denn die Erfahrung zeigt: Meistens trifft nicht ein, was da für die kommenden zwölf Monate prophezeit wird.

Wenn es danach ginge, hätte ich beruflich nämlich schon x-mal total durchgestartet - und mehr als ein Mr. Right müsste im Lauf der Jahre an meine Tür geklopft haben. Gerade für 2015 wurde mir beides erneut verheißen. Bilanz bislang: Fehlanzeige - auf ganzer Linie. Aber das kann ja alles noch kommen...



Doch seien wir ehrlich: Allerweltshoroskope sind so allgemein gehalten, dass sie auf alles und jeden passen könnten - ich schenke ihnen deshalb jedenfalls kein Vertrauen. Mangels Hofstaat zähle ich leider auch keinen versierten Astrologen zu meinen Vertrauten, der rasch mal nachschauen könnte, wann bei mir persönlich Venus das 3. Haus kreuzt und die Gelegenheit günstig wäre. Kartenlegen kommt für mich irgendwie auch nicht in Frage. Das ist aber auch gar nicht nötig...

Denn ich habe meinen ganz eigenen Weg für die Suche nach Antworten gefunden: Ich deute die Zeichen an der Wand - und nicht nur da...

Ich pflege seit einigen Jahren nämlich meinen höchstpersönlichen Aberglauben: Ich achte auf aussagekräftige Nummernschilder. Meine "Frey-Zeichen" begegnen mir außerdem in Form vom Plakaten, Graffitis oder anderen Signalen, die mir stets beiläufig begegnen. Sie fallen mir gewöhnlich zufällig (?) vor die Füße, wenn ich mit größeren Fragen im Hinterkopf durch die Gegend laufe.

Alles begann so:

Als ich vor einigen Jahren eine schwere Entscheidung treffen musste, sind mir unterwegs im Auto kurz hintereinander zwei Wagen mit folgenden Kennzeichen begegnet: M-UT, BIT-TE.

Ich befolgte den Rat - und fuhr gut damit. Das war mein A-HA-Erlebnis!



Als in etwa zur selben Zeit meine Beziehung wackelte und ich nicht weiter wusste, stolperte mein Blick auf dem Weg zu meiner ersten Tangostunde über ein schon etwas zerfetztes, halb überklebtes Plakat an einer Hauswand in Kreuzberg:

"Wer kämpft, kann verlieren.
Wer nicht kämpft, hat schon verloren."

Seitdem bin ich für diese Zeitzeichen offen: Ich suche nicht verzweifelt danach - das bringt sowieso nichts. Aber ich halte die Augen offen - und bekomme dadurch einiges zu sehen, sobald es nötig ist.

Und das ist immer wieder mal der Fall. Seit Anfang des Jahres befinde ich mich erneut in einer rundum schwierigen Lage. Es steht die Frage im Raum, wie es weitergeht - beruflich, privat und insgesamt. Von meiner ausgewachsenen Pechsträhne hatte ich ja ansatzweise schon gebloggt - und glaubt mir: Es kam noch dicker!

Es standen und stehen also viele Entscheidungen im Raum - und viele Fragen. Aber auf meine "Frey-Zeichen" ist Verlass:

Dass meine kleine, zweifellos aufregende und sehr inspirierende Liaison im Grunde nirgendwo hinsteuerte, wusste ich eigentlich längst. Aber es brauchte ein Auto mit dem Kennzeichen ESW-AR, das nach einer gemeinsamen Nacht und einem dieser ungewissen Abschiede am Straßenrand stand, um mir klar zu machen, dass es so nicht weiter gehen kann.

Keine schöne Botschaft - und sicher keine, die ich hören oder lesen wollte. Aber es war mir im Innersten ja ohnehin klar, womit mich der nichtsahnende Autofahrer aus Eschwege da konfrontierte: Ich würde in naher Zukunft ein, zwei Kapitel meines Lebens abschließen müssen - wenn auch schweren Herzens. Denn Loslassen ist nicht so mein Ding. Auch das wisst ihr schon, aus dem Kapitel über Herzschmerz …



Doch versprachen mir meine "Frey-Zeichen" auch eine "Besserung". Davon zeugte ein Plakat, auf das mein Blick kurz darauf fiel:

"You are!" verkündete es optimistisch und rief mich quasi dazu auf, mich auf mich selbst zu besinnen - und darauf, was mir wichtig ist. Damit ich das Tal der Tränen durchhalte, erblickte ich am Tiefpunkt meiner Laune kurze Zeit später außerdem ein irgendwo in Schöneberg an die Wand gesprühtes

"Keep your Head up!"

Noch deutlicher machte es mir ein im Vorüberfahren gesichtetes Plakat:

"Alles wird gut"

Tja, gut ist es war noch längst nicht. Meine Durststrecke hält - im Gegenteil - noch an. Meine Befürchtungen, die den Mann meines Herzens betreffen, bestätigten sich zum Beispiel. Da hätte es das Kennzeichen "BAD - HE" eigentlich gar nicht mehr gebraucht. Aber sicher ist sicher - damit ich meine Lektionen auch kapiere, gell? Der "Zeichensetzer" kennt mich eben gut. :-)

Im Augenblick bin ich übrigens sehr zuversichtlich, dass sich all meine Bemühungen, meinem Leben eine neue Richtung zu geben, lohnen werden. Die Signale stehen in letzter Zeit jedenfalls endlich wieder sehr günstig. Los ging es damit vor ein, zwei Wochen: Bei miesem, einem Juni unwürdig ungemütlichem Wetter las ich auf dem Weg zur Spanischstunde "OA-SE". Nein, das war keine Ironie! Ein paar Tage später startete der Sommer durch und ich kann nun endlich meinen Wohlfühlort - meinen liebevoll begrünten Balkon - zum Kräftesammeln und Auftanken nutzen.

Außerdem stehe ich sozusagen an der STA-RT-Linie. Das Zeichen zum Aufbruch prangte mir jedenfalls neulich im Parkhaus von einem benachbarten Nummernschild entgegen. Und es scheinen neue Abenteuer vor der Tür zu stehen. Das glaube ich jedenfalls, seit ich das hier gesehen habe:



Was auch immer das bedeuten mag. Ich habe da so eine Ahnung, aber davon vielleicht ein andermal mehr...

P.S.:

Manchmal dienen die "Frey-Zeichen" übrigens auch einfach nur dem Amüsement. Der Fahrer des Wagens "HAM - EG" jedenfalls beweist, dass die Westfalen eindeutig Humor besitzen (zumindest die, die des Englischen mächtig sind). Oder hatte ich einfach nur Hunger, als ich neulich morgens noch vor dem Frühstück unterwegs war und deswegen bei diesem Nummernschild gleich an Eier und Schinken denken musste? :-)

Ich hänge an der Nadel

Ähem, ja - ich gebe es zu: Ich stricke. Im Moment bin ich gerade wieder süchtig danach zu handarbeiten.

Alles fing mit meiner Oma an. Jahrgang ´22 und aus einfachen Verhältnissen vom Lande, hat sie sich noch das Leinen für ihre (und jetzt meine) Geschirrtücher selbst gewebt. Sie war Schneiderin, hat bis ins hohe Alter an ihrer noch über ein Fußpedal betriebenen Nähmaschine gesessen oder mit krausgezogener Nase, damit die Brille nicht rutschte, dem Maßband um den Hals und der Schneiderkreide in der Hand Stoffe zugeschnitten. Außerdem hatte mein „Ömchen“ (Achtung, Fachjargon!) immer etwas auf der Nadel. Jedes Jahr kam so eine stattliche Anzahl Strümpfe für den Kirchenbasar an Weihnachten zusammen. Denn beim besten Willen: So viele selbstgestrickte Socken konnte unsere kleine Familie gar nicht tragen wie sie produzierte.

Als kleines Mädchen wollte ich natürlich mittun. Oma brachte mir also das Stricken und Häkeln bei. Später wurde das im Handarbeitsunterricht in der Grundschule vertieft. Das gab es Anfang der Achtziger noch: Wir saßen im schönsten Klassenzimmer der Schule direkt unterm Dach, nicht in starrer Sitzordnung wie sonst – und während des Unterrichts durfte sogar geschwatzt werden. Hauptsache die Hände arbeiteten. 

Zuhause beobachtete ich meine Großmutter weiter, wie sie Teppiche knüpfte, allerlei nähte und stickte. 

Als ich nach dem Abi auszog, um zu studieren, hat sie mir etliche Kissenbezüge genäht und eine riesige Tagesdecke gehäkelt. Beides machte das Bett in meiner Studentenbude zum Kuschelsofa. Stunde um Stunde hat sie vor Semesterbeginn fleißig gewerkelt und viel dazu beigetragen, dass ich mich – flügge geworden und zum ersten Mal weg von Zuhause – in meinem Zimmer in einem urigen hessischen Fachwerkbauernhof etwas außerhalb von Marburg heimisch fühlen konnte. 

Nicht nur diese, viele meiner schönsten Kindheitserinnerungen haben mit meiner handarbeitenden Oma zu tun. Alle paar Wochen zum Beispiel habe ich mit ihr ihre Schwägerin in Papenburg besucht. Freitags ging es los – mit der Bahn, die damals gefühlt noch regelmäßig, ohne Streiks und ohne allzu große Verspätungen fuhr. Sonntags holte uns mein Vater mit dem Auto ab.



Tante Anni war Witwe wie meine "Nunu" und lebte in einem von Wiesen und Weiden umgebenen Häuschen (anfangs nur mit Plumpsklo – ein Abenteuer für ein kleines Mädchen! - und Hühnerstall im Garten) knapp vor der Grenze zu Ostfriesland. Auf dem Sofa in der Wohnküche am noch mit Torf beheizten Ofen saßen wir drei dort zusammen, die Frauen unterhielten sich und strickten. Dazu gab es Schwarzbrot mit Kirschmarmelade, Dickmilch – und Ostfriesentee. 

Der wurde – frisch aufgebrüht – über ein Sieb in kleine Tässchen gegossen, auf herrlich knackenden Kandiszucker. Zur Krönung durfte ich die Sahne eingießen – wenn man das langsam genug macht entstehen Teeblumen, ein faszinierendes kleines Schauspiel. Mir hat selten wieder etwas so gut geschmeckt wie der Tee zusammen mit selbst gebackenem Topfkuchen (besser bekannt als Gugelhupf) oder Zwieback, der sogar eingestippt werden durfte.
Aber ich schweife ab. Jedenfalls ist das Beisammensein handarbeitender Frauen für mich der Ausdruck von friedlicher Gemütlichkeit und kindlichen Geborgenheitsgefühlen. Vielleicht stricke ich deshalb heute wieder: Ich kuschele mich dazu gern aufs Sofa, stricke, denke nach und entspanne. Dazu Tee, im Hintergrund manchmal noch Musik oder ein schöner Film – der perfekte Winternachmittag! 



Handarbeiten ist nämlich für mich eigentlich eine Angelegenheit für die dunkle Jahreszeit. Jetzt ist zwar schon Frühling, die Sonne scheint, alles lockt wieder nach draußen – doch dieses Jahr fällt es mir schwer, die Nadeln links liegen zu lassen. Das liegt daran, dass mein Leben gerade Kopf steht. Und über das fast schon meditative "Zwei rechts, zwei links" komme ich ein wenig zur Ruhe. 

Allerdings – ich gestehe nochmals: Ich habe jahrelang keine Nadel angefasst. Stricken galt als uncool - und wer trug in der Schule schon selbst gestrickte Pullis? Kam spätestens ab der siebten Klasse nicht mehr in Frage! Ich habe das Stricken erst während des Studiums wieder entdeckt. Nein, ich war keine von den diesen frauenbewegten Öko-Studentinnen, die nadelnklappernd in den Seminaren saßen und dabei herumphilosophierten. 

Als ich wieder anfing zu stricken, war die Handarbeit längst wieder allgemein salonfähig. Ich habe mit drei der coolsten Studentinnen meines Semesters, die definitiv zum It-Circle gehörten, bei "Suppe für Glück und langes Leben" gestrickt, den Studienalltag mit allen Höhen und Tiefen aufbereitet, Zukunftsvisionen für die Zeit nach der Uni entwickelt und: Männer waren auch ein Thema. :-) 

Das Schöne am Stricken ist nicht nur, dass es allein oder in Gesellschaft für Gemütlichkeitsgefühle sorgt. Am Ende habe ich etwas in Händen, das ich selbst geschaffen habe. Das kann gerade wenn die Zeiten chaotisch sind, eine „therapeutische“ Erfahrung sein: Wenn nichts anderes geht, kann man mit einfachen Mitteln doch etwas „hinkriegen“. Fünf Nadeln und zwei, drei Knäuel Wolle reichen.

Das ist nicht nur gut für die Seele, sondern auch für den Körper: Kurz nach meinem Studienabschluss hatte ich einen Unfall. Die Folge: eine Handverletzung mit Komplikationen. Ich musste langwierig und mühsam wieder üben, Hand und Finger zu bewegen. Zur Schulung der Feinmotorik griff ich schließlich auch zum Strickzeug. 

Mein erstes Projekt damals: Babysöckchen für die erste, noch ungeborene Tochter meiner Cousine. An Strümpfe hatte ich mich bis dahin gar nicht herangetraut. Es ging die Mär, es sei furchtbar schwierig, die Ferse zu stricken. Aber so kompliziert ist es gar nicht, vor allem nicht die Bumerang- oder Jojo-Ferse. Die kann ich inzwischen im Schlaf. 



Babysocken zu stricken hat sich nämlich irgendwie zur Tradition entwickelt: Wenn liebe Menschen – Verwandte, Freunde, nette Kollegen – Nachwuchs bekommen, setze ich mich seitdem hin und stricke. Etwa 20 Paar Söckchen sind es in den letzten acht Jahren geworden. 

Jetzt gibt es allerdings eine kleine Babypause, aber zu meditativen Zwecken brauche ich das beruhigende Nadelklappern gerade. Also stricke ich momentan abwechslungshalber mal für mich: Socken aus Merino-, gewöhnlicher Sockenwolle oder solcher mit Kashmiranteil. Trägt sich herrlich, sitzt wie angegossen und ist irgendwie besonders warm... 

Irgendwann hat sich mein Leben hoffentlich wieder entwirrt wie die Wolle, die sich manchmal verknäuelt und die man geduldig wieder auseinanderwickeln muss. Dann mache ich den Sommer über einen Strickentzug. Ehrlich, ich schaffe das. Ich hab´ das im Griff...

P.S.: Bei Babyalarm mache ich selbstverständlich jederzeit eine Ausnahme...

Herz und Hölle

Hand aufs (gebrochene) Herz: 
Wann hattet Ihr das letzte Mal Liebeskummer? 
Und wie geht ihr damit um?

Igelt Ihr Euch ein, zieht die Decke über den Kopf und heult Euch die Augen aus? Oder verfallt Ihr in Aktivitäten, macht Sport bis zum Umfallen oder durchtanzt die Nächte, um den Kummer davonzujagen? 

Jeder hat da andere Strategien – und jeder leidet anders.

Manchmal ist das Gefühlsgewitter so rasch vorbei wie ein schneller Schnupfen - und manchmal heilt die Zeit die Wunden ewig nicht. Je nachdem. 

Bei mir ist es leider meist „nachdem“: Ich verschenke mein Herz nicht schnell – doch wenn, dann richtig. Wenn es schief geht, ist aber leider auch das Liebestief intensiv. Mit anderen Worten: Mein Herz geht durch die Hölle.

Insofern bedauere ich stark, dass gegen Liebeskummer kein Kraut gewachsen ist - selbst wenn meine Heilpraktikerin unterstützend das ein oder andere Mittelchen parat hat.

An die Wirkung der Globuli mag man nun so viel oder wenig glauben, wie an Kühe, die fliegen.

Aber wer den Schaden hat, sucht eben nach (Aus-)Wegen. Á propos Schaden: Man kann sich hierzulande ja nun wirklich gegen alles Mögliche versichern – gegen Krankheit, Unfall oder Diebstahl. Es gibt Schutz für Auto, Haus und den darin versammelten Hausrat. Auch das eigene Leben kann man versichern. Mancher Star schließt sogar für seine kostbarsten Körperteile eine Police ab – man denke an J Lo´s Hinterteil oder David Garretts Geigerhände.

Nur das eigene Herz, das kann man nicht schützen. Kann man nicht? Kann man (vielleicht) doch!

Ich hab da was im Netz gefunden: die Liebeskummer-Versicherung.

Die „Love-Insurance“ ist ein Projekt eines Hamburger Künstlers. Es ist eine soziale Performance, soll die Brücke zwischen Leben und Kunst schlagen - und bringt zusammen, was eigentlich nicht zusammengehört: ein „profanes“ Gefühl und die nüchterne Welt der Versicherung. Soweit der theoretische Ansatz.

In der Praxis bedeutet das: Ich kann eine Love Insurance gegen eine einmalige Schutzgebühr von 20 Euro abschließen. Natürlich muss ich entsprechende Formulare ausfüllen. Außerdem mache ich ein Angebot: Was kann, will und werde ich für Leidensgenossen im Schadensfall tun?

Der eine bietet Ohr und Schulter zum Aussprechen und Ausweinen an, der nächste kocht Pasta – das Seelenfutter soll wieder glücklich machen. Ein anderer lädt zu einem Outdoor-Wochenende ein, damit die Wunden in freier Wildbahn heilen können. Einen besonderen Adrenalinkick bietet ein Hamburger an: Er schippert einen mit dem Schlauchboot durch den Hafen, vorbei an den riesigen Frachtschiffen und Ozeankreuzern. Aufregend! Das dürfte fürs erste Ablenkung vom Herzschmerz schaffen...



Der Kreativität und dem Einfallsreichtum sind kaum Grenzen gesetzt. Natürlich hat Betreiber Till Haupt trotzdem ein Auge auf das Schadensbegrenzungs-Sammelsurium – die Liste ist auf seiner Homepage zu finden. Eine Dating-Plattform ist die Love-Insurance übrigens nicht: Alter und Geschlecht des Anbieters tauchen in der Liste nicht auf. Erst recht keine Fotos. Es geht wirklich "nur" um Akuthilfe im Liebeskummer-Notfall, nicht um die Suche nach dem nächsten (potenziellen) Herzensbrecher.

Noch mal á propos: Für sein Angebot bekommt man – je nach Wertigkeit – eine gewisse Anzahl halber (= gebrochener – sic!) Bleiherzen. Die darf man selbst im Fall des Falles einlösen – und eines der Anti-Liebeskummer-Angebote in Anspruch nehmen. Vorher muss man natürlich eine Schadensmeldung abgeben; ist ja schließlich eine Versicherung.

Allein schon das Prinzip gegenseitiger Hilfe und das leichte Augenzwinkern, mit dem man sein Herzeleid auf diese Weise betrachten kann, sind schon viel Wert.

Aber manchmal geht das Leid über den Liebesverlust ins Unermessliche und es reichen weder solche Ablenkungsmanöver noch geduldige Freunde, die sich die Geschichte wieder und wieder anhören. Denn, seien wir ehrlich, irgendwann sind selbst der treueste Kumpel oder die beste Freundin die ewig gleiche Liebesleidleier leid. Was dann?



Dann muss/darf/kann ein Profi ran – es muss nicht gleich ein Psychotherapeut sein. Aber vielleicht ein Fachmann für Herzbruch? Den, vielmehr die gibt es nämlich auch: den Liebeskummercoach.

Über die Liebesleid-Expertin bin ich vor ein paar Jahren per Zufall gestolpert. Für eine Rubrik über Menschen mit ungewöhnlichen Berufen, die ich viele Jahre geschrieben habe, brauchte ich wöchentlich Nachschub. Dabei waren Schatzsucher, Golfballtaucher, Fassadenkletterer - und Silvia Fauck, die zunächst in Hamburg, dann in Berlin eine Praxis fürs Liebeskummer-Coaching aufgemacht hat. Hier finden Menschen mit gebrochenem Herzen Unterstützung bei der Hilfe zur Selbsthilfe, um aus dem Liebesloch herauszukommen. Dass ich sie kurze Zeit selber benötigen würde, habe ich damals, als ich sie für die Kolumne interviewte, übrigens nicht geahnt. Doch so kam es. So ist das Leben eben.

Übrigens – vielleicht ein Trost - hörte ich neulich Roger Willemsen zu Sarah Kuttner sagen, eines der wenigen Dinge, worauf sie sich im Alter freuen dürfe: Der Liebeskummer werde mit den Jahren weniger schlimm.

Will´s hoffen. Aber ich bin ja jetzt bald immerhin Liebeskummer-versichert...
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P.S.: Meine persönliche Musik-Therapie bei Liebeskummer - die aktuelle Top Ten...

I
ESCUECE - BEBE

Dazu habe ich übrigens vor ein paar Tagen im Auto gesungen und „getanzt“, so fröhlich und gedankenverloren, dass ich mich - phasenweise - wohl schon wieder auf dem Weg der Besserung befinde... Dem Autofahrer neben mir an der Ampel hat es jedenfalls gefallen – er gab mir ein „Thumbs up“ für meine unbeabsichtigte Vorstellung. Deswegen ist das Lied auch gerade auf Platz 1! :)

II
ME AND MY BROKEN HEART - ANDIE CASE

III
WAIT IT OUT - SARAH BLACKWOOD

IV
WHO´S THAT GIRL? - NAKED RAVEN

V
YOU DON´T KNOW WHAT LOVE IS - CASSANDRA WILSON

VI
WEARY BLUES - MADELEINE PEYROUX

VII
YOUR HEART IS AS BLACK AS NIGHT - MELODY GARDOT

VIII
HURT - JOHNNY CASH

IX
KEINER IST WIE DU - SARAH CONNOR

(Ich finde die Version von Sarah Connor (ja!) wunderschön - auf Youtube ist sie aber nicht mehr zu finden. Deshalb führt der Link zum Original…)

X
OBLIVION - ASTOR PIAZOLLA

Und was hört Ihr?

Glück gehabt...

… die Betonung liegt diesmal leider auf "gehabt". Denn ein paar Monate lang hatte ich eine regelrechte Pechsträhne. Kaum etwas lief richtig rund - in allen Lebensbereichen knirschte es: Stress im Job, Schimmel in der Wohnung, Auto kaputt und so weiter und so fort…

Vor allem "und so fort": Neulich bin ich nämlich zu allem Überfluss auch noch bestohlen worden. 

(Ich glaube, das war das erste Mal in meinem Leben - puh, bis hierher also: Glück gehabt!) 



Aber der Reihe nach: 

Ich versuche eigentlich immer mir meinen Humor zu bewahren und das Beste aus der Situation zu machen. Insofern habe ich auch die Tingelei durch die diversen Ferienwohnungen als kleines Alltagsabenteuer betrachtet, auch wenn es natürlich Schöneres gibt, als monatelang Fremdwohnen zu müssen.

Es gab allerdings in jeder Wohnung etwas zu entdecken. (Ja, auch zweifelhafte Kunstobjekte, aber das hatten wir ja schon…)

Im zweiten Domizil - einer netten Einzimmerwohnung im Bötzowviertel - standen zum Beispiel 15 CDs herum. Ich habe ein Projekt daraus gemacht und sie alle durchgehört - von Chopin bis Vivaldi, von Bruce Hornsby bis Procol Harum. War nicht immer mein Geschmack, aber ein paar schöne Stücke zum gerne Wiederhören waren doch dabei.

Das zum Ohren-, jetzt zum Gaumenschmaus: In der Küche stand ein kleiner Kaffeeautomat. Er hätte mich fast kalt gelassen. An sich trinke ich nämlich nur noch ab und zu mal einen Kaffee. Oder trank. Mir ist jedoch das Design der Ein-Personen-Padmaschine aufgefallen. Und aus Neugier, ob sie nicht nur schön, sondern auch praktisch ist, wollte ich das schicke Dings mal ausprobieren. 

Also habe ich die passenden, portionierten Kaffeebeutel besorgt - und mich fortan jeden Abend aufs "Nachhausekommen" gefreut, mich mit dem fremden Musikgeschmack angefreundet und dazu einen mit dem Maschinchen gemachten Latte Macchiato genossen.

Daran habe ich sogar so viel Geschmack gefunden, dass ich mir dieses Bötzowviertel-Feeling gern auch für mein echtes Zuhause erhalten wollte. Ich habe also recherchiert, wo ich mir einen solchen Kaffeebereiter beschaffen kann. 

Ist natürlich nicht mehr im Handel - klar!

Aber bei Ebay wurde die Padmaschine tatsächlich noch angeboten - für einen akzeptablen Startpreis. Und was soll ich sagen: Ich habe tatsächlich Glück gehabt und die Auktion "gewonnen". 

Ein paar Tage später kam die Nachricht, das Paket sei angekommen und in einem kleinen Geschäft in der Nähe meiner Adresse abgegeben worden.

Ich bin also zu einem Ausflug in die "alte Heimat" aufgebrochen - voller Vorfreude auf meine neue Kaffeemaschine. Auf dem Weg hatte ich mich noch gefreut, dass endlich mal wieder was geklappt hat - nach all den kleinen und großen Miseren der letzten Wochen.

Freudestrahlend hielt ich der Dame aus dem Geschäft deshalb meine Paketbenachrichtigung hin, sie schaute drauf, guckte dann mich groß an und sagte:

"Es tut mir leid, es gibt da ein Problem mit Ihrem Paket. Bei uns ist eingebrochen worden. Die Diebe haben alle Pakete mitgenommen - Ihres war leider auch dabei."

Da habe ich wohl PECH gehabt...



P.S.: Falls Ihr Euch auch mal von allen guten Geistern verlassen fühlt, ich habe mir das Glück neulich einfach bestellt: Beim Lieferservice Glück to go. Da gibt es zumindest leckeres Essen. Und das macht ja auch happy!

P.P.S.: Und wenn man mal genauer hinsieht, findet man ein bisschen Glück manchmal auch gleich nebenan ...


(Geschäft im Nachbarhaus) 

… oder irgendwo auf der Straße.


(Plakat wofür auch immer)

Fingerübungen - Der lange Weg zum Buch

Ich will - und werde - einen Roman schreiben. Das ist seit Kindertagen mein Traum. Aber worüber? Das war mir lange Zeit nicht klar. Dann passierte mir das Leben - und das Thema war auf einmal da, ganz von selbst.
Die ersten Seiten sind getippt. Ich habe auch einen Titel, einen Entwurf für das Cover, Kontakt zu einer Literaturagentin und - sollte es je zu einer Verfilmung kommen - auch schon Vorschläge für die Idealbesetzung der Rollen. Verlag und Produktionsfirma werden sich sicher freuen, dass alles schon so weit gediehen ist. :-)

Der Haken: Es fehlen "nur" noch rund 300 Seiten Text. Und irgendwie komme ich damit nicht so recht vorwärts. Dabei habe ich schon alles Mögliche geschrieben. Ist schließlich mein Job: Nachrichten, Reportagen, Glossen, Kommentare für Zeitungen, Zeitschriften oder Onlinemedien - das mache ich mit links. 

Ich habe nicht nur Artikel über Themen von Ahnenforschung bis Zähneknirschen verfasst, auch wissenschaftliche Aufsätze und sogar ein Sachbuch waren schon dabei. Aber so ein Roman? Das ist eine andere Nummer, stellte ich fest, als ich mich vor einer ganzen Weile voller Elan an den Laptop setzte, drauflos schrieb - und irgendwann stockte.

Wie entwickele ich Figuren glaubwürdig, wie erwecke ich sie auf dem Papier zum Leben? Wie soll der Spannungsbogen verlaufen? 

Allein kam ich mit diesen Fragen nicht weiter. Ich hatte das Gefühl, ich bräuchte "Nachhilfe". Also habe ich mich vor einiger Zeit zu einem Kurs angemeldet. Der schöne Titel: "Schreiben in Cafés".

Klingt doch toll, oder? Mal eben gemütlich bei Kaffee und Kuchen einen potenziellen Beststeller schreiben… 

So einfach war und ist es natürlich nicht. Statt in einem Bistro saß ich in einem Volkshochschulzimmer mit dem typischen Linoleum-Boden-Bohnerwachs-Geruch, den ich seit Schulzeiten wohlweislich ganz hinten in meinem Gedächtnis vergraben hatte.

Hier ging es abends nach acht Stunden Schreib-Schuften noch mal drei Stunden richtig zur Sache. Ein wenig Theorie - und viele Fingerübungen. 

Für die meisten hatten wir nur Minuten. Zeit zum Nachdenken blieb kaum. Da hieß es: Einfachen machen, einfach drauflos schreiben. Was da auf diese Weise aus unseren Federn geflossen kam, war überraschend, mal tiefgründig oder wunderbar witzig.

Eine Kostprobe?

Angelehnt an den Film "DER TALENTIERTE MR. RIPLEY" sollten wir in einem Dialog - also ausschließlich über wörtliche Rede - folgende Szene beschreiben: 

Mr. Ripley hat gerade eine Mord begangen. In einer Gasse begegnet er der Frau des Opfers. Er muss sie davon abhalten, ins Hotel zu gehen, bevor er Gelegenheit hatte, die Leiche beiseite zu schaffen. Er versucht sie daher mit allen Mitteln abzulenken.

Es muss deutlich werden, wo die Szene spielt - und der Subtext soll transportieren, dass etwas nicht stimmt. 

Probiert es doch selbst aus: An die Stifte, fertig, los! 
Ihr habt 30 Minuten! Viel Spaß!

Mittwoch, 9. September 2015

Ein Hoch der Kunst?!

Erinnert Ihr Euch noch an die letzte Station meiner Wohnreise? Das "ZIMMER MIT AUSSICHT"?

Wenn man so will, war auch mein Domizil vor der Schönhauser Allee eines mit Aus- oder Einblicken, nur eben nicht so schönen…

Wohnung Nummer Vier sollte ursprünglich für eine Woche mein Asyl sein. Ich hielt es dort nur eine Nacht aus.

Aber fangen wir am Anfang dieser Geschichte an.

Ich war nun schon seit mehr als zwei Monaten "unterwegs". Bis dahin hatten mir meine Unterkünfte ausnehmend gut gefallen. Nur in der letzten war es nicht ganz so behaglich gewesen.

Alles von der Wand bis zu den Wohnaccessoires leuchtete Lila: Kissen, Teppiche, Tagesdecke, Blumentöpfe, Stehlampe. Sogar auf dem Geschirr prangten Ornamente in der "FARBE LILA". Uff!

Abgesehen davon gab es nur minutenweise kochendheißes Wasser, den Rest der Zeit hatte es die Temperatur eines eiskalten Gebirgsbachs. So richtig Spaß machte das Duschen da nicht. Und ausgerechnet als ich ein paar Tage frei hatte, setzten in der Nachbarwohnung Bauarbeiten ein. Das war zu viel - ich wollte weg.

Ich suchte mir also eine neue Bleibe, die im Netz wirklich gemütlich aussah: Eine Art Himmelbett gab es und ein einladendes Sofa, darüber ein Wandtattoo mit dem Schriftzug "Willkommen!". Das wirkte nett - zumindest auf den Fotos. Aber das WWW ist geduldig - und Photoshop kann täuschen.

Jedenfalls, um es vorwegzunehmen, war die Wohnung deutlich anders als gedacht. Gleich im Flur überfiel mich erneut eine kräftige Farbenpracht: Eine Wand glänzte gülden (Schlagmetall), die andere erstrahlte in Knallpink.

"Ist ja nur der Flur", dachte ich und fand die Kreativität, die hier jemand bei der Einrichtung an den Tag gelegt hatte, irgendwie auch interessant.

Nach einem langen Tag freute mich jetzt aber erst einmal auf einen Abend auf dem Kuschelsofa und die erste Nacht im Himmelbett.

Auf dem Weg in den Wohn-Schlafraum warf ich noch kurz einen Blick in die Küche: Erfrischendes Apfelgrün leuchtete mir entgegen. Mein Blick blieb an der Lampe hängen: Marke Eigenbau - sie war aus grünen und gelben Fliegenklatschen (hoffentlich unbenutzt!?) zusammengebastelt.

Hier war jemand bei der Einrichtung echt einfallsreich gewesen. "Was man so alles machen kann", dachte ich. Dann blieb mir allerdings für einen Moment der Atem weg. Ich hatte gerade das Zimmer betreten, in dem ich mich - erinnern wir uns - "Willkommen" fühlen sollte.

Nun, es ist nur ein kleines Randdetail der Ironie des Schicksals, dass auch diese Wände fliederfarben gestrichen waren. Damit hätte ich mich noch schmunzelnd anfreunden können. Doch das "Willkommen" fehlte, stattdessen stachen mir mehrere etwa 75 Zentimeter lange Skulpturen entgegen. Oder anders ausgedrückt: In einer Reihe ragten Riesenpenisse in unterschiedlichen Neigungswinkeln aus der Wand über dem Sofa - von schlaff bis erigiert. Am Ende der Reihe klebte eine Fleck - kunstfertig aus einem latexähnlichen Material gegossen.

Die weitere Interpretation überlasse ich Eurer Fantasie…

Ich habe es jedenfalls vorgezogen, den Ausblick zu wechseln und der Kunst schnell wieder "Adieu" zu sagen. :-)